D&O-Kolumne: „Es kommt drauf an”

Worauf kommt es eigentlich an, wenn ein Jurist auf die Frage nach der Rechtslage wissen lässt: „Es kommt drauf an“? Das ist ja eine häufige Antwort, die für den fragenden Nichtjuristen den gleichen Inhalt hat, wie wenn er die Antwort erhielte „weiß ich nicht so genau“. Und so ist es dann auch.


Eine Rechtslage lässt sich nämlich nur sicher beurteilen, wenn der Sachverhalt, um dessen rechtliche Würdigung es geht, in allen Einzelheiten feststeht. Das meint tatsächlich: In allen Einzelheiten, wofür es etwa darauf ankommen kann, wann genau was passiert ist, in welcher zeitlichen Reihenfolge einzelne Geschehnisse standen, wer genau wann wem was konkret mitgeteilt hat und in welcher Form (beispielsweise mündlich, schriftlich oder per Email) das geschehen ist, ob wann wie und in welcher Form der andere darauf regiert hat usw.

Und das meint tatsächlich auch: Der Sachverhalt muss feststehen, also in einem Prozess mit zulässigen Beweismitteln bewiesen werden können. Was jemand nach eigener Erinnerung wahrgenommen haben will, ist keineswegs immer das, was sich, objektiv betrachtet, tatsächlich ereignet hat. Wenn dann der Gegner eine andere Wahrnehmung schildert, hängt es von Beweislast und Beweisbarkeit ab, welche Sachverhaltsvariante das Gericht seiner rechtlichen Würdigung zugrunde legt. Man sieht: Es kommt auf den beweisbaren Sachverhalt an.

Das erklärt, warum die alte Redewendung „Recht haben und Recht bekommen, ist zweierlei“, vollkommen zutrifft. Wer meint, ein Recht zu haben, bekommt es nur, wenn es ihm aufgrund des festgestellten Sachverhalts zugesprochen werden kann. Das erklärt zugleich, warum D&O-Versicherungsfälle oft so lange dauern: Die Juristen aufseiten aller Beteiligten sind Wochen, Monate und Jahre hauptsächlich damit beschäftigt, den Sachverhalt, um dessen haftungs- und versicherungsrechtliche Würdigung es geht, überhaupt erst einmal zu ermitteln. Das ist wie ein Puzzlespiel, bei dem erst das vollständig gelegte Puzzle allen Beteiligten erlaubt, sich ein Bild von der Rechtslage zu machen. Die Antwort „Es kommt drauf an“, ist folglich eine umsichtige Antwort, die erkennen lässt, dass der Befragte weiß, was er tut und – vor allem – was noch zu tun ist.

Leider stand im BRAK Magazin 04/2020 (das ist eine Zeitschrift der Bundesrechtsanwaltskammer) in einem Artikel zur juristischen Sprache neulich: „Der viel zitierte Satz: ‚Es kommt darauf an.‘ ist bestenfalls ein Zeichen, sich nach allen Seiten absichern zu wollen, im schlechtesten Fall ist er ein Ausweis von Faulheit, weil man sich nicht festlegen möchte. Für Menschen, die sich eine juristische Einschätzung wünschen, stiftet er vor allem eins: Verwirrung.“ Hieran ist nichts richtig, vor allem stiftet der Satz nicht Verwirrung, sondern Klarheit: Er öffnet die Augen für das, worauf es ankommt.

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