Es ist immer wieder erstaunlich, wie wenig in der Praxis über die Entlastung bekannt ist, obwohl sie dort andauernd vorkommt. Zwar wird sie jedem ein ungefährer Begriff sein als Erklärung der Gesellschafter, dass die zurückliegende Geschäftsführung im Großen und Ganzen gebilligt werde. Eine bloß ungefähre Begriffsvorstellung genügt jedoch nicht, um eine verlässliche Einschätzung bilden zu können.
Dazu muss man sich vielmehr präzise daran orientieren, was der BGH vorgibt:
„Mit der Entlastung der Geschäftsführung billigen die Gesellschafter die Amtsführung für die Dauer der zurückliegenden Entlastungsperiode (…). An die Entlastung ist (…) die Folge geknüpft, dass die Gesellschaft mit Ersatzansprüchen und Kündigungsgründen ausgeschlossen ist, die der Gesellschafterversammlung bei sorgfältiger Prüfung aller Vorlagen und Berichte erkennbar sind oder von denen alle Gesellschafter privat Kenntnis erlangt haben“ (BGH NZG 2020, 1343 Rn. 25).
Rahmenbedingungen einer enthaftenden Entlastung
Praktisch relevant ist an der Beschreibung des BGH vor allem, dass die Enthaftungswirkung eines Entlastungsbeschlusses – bei dem der zu Entlastende, wenn er auch Gesellschafter ist, gem. § 47 Abs. 4 S. 1 GmbHG kein Stimmrecht hat und der sich nicht nur auf Ersatzansprüche und Kündigungsgründe, sondern auf „alle aus der Geschäftsführung hergeleiteten Ersatzansprüche auf vertraglicher oder außervertraglicher Grundlage“ erstreckt, wozu „auch Bereicherungsansprüche gegen den Geschäftsführer gehören“ (BGH NJW 1986, 2250) – von den Umständen abhängt, unter denen er gefasst wird. Denn die Gesellschaft ist infolge eines Entlastungsbeschlusses der Gesellschafter weder stets noch regelmäßig noch in jeder Hinsicht, sondern einzig und allein – wie gesagt – mit solchen „Ersatzansprüchen [gegen den Geschäftsführer] ausgeschlossen (…), die der Gesellschafterversammlung bei sorgfältiger Prüfung aller Vorlagen und Berichte erkennbar sind oder von denen alle Gesellschafter privat Kenntnis erlangt haben“ (BGH NZG 2020, 1343 Rn. 25).
In älteren Entscheidungen hat der BGH das von ihm Gemeinte geringfügig anders, im Ergebnis aber ähnlich formuliert: „Die Entlastung umfaßt (…) die gesamte Geschäftsführungstätigkeit einschließlich aller dazu gehörenden Einzelmaßnahmen und der mit ihr verbundene Verzicht alle Ansprüche gegen den Geschäftsführer aus dieser Tätigkeit ohne Unterscheidung der Art der Anspruchsgrundlage, sofern die Anspruchsvoraussetzungen den Gesellschaftern bekannt oder bei sorgfältiger Prüfung aufgrund der ihnen zur Verfügung gestellten Unterlagen und Informationen erkennbar waren“ (BGH NJW 1986, 2250, 2251).
Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass jeder Geschäftsführer es zu weiten Teilen selbst in der Hand hat, die Reichweite der Enthaftungswirkung eines Entlastungsbeschlusses zu beeinflussen. Da es an ihm liegt, die Beschlussfassung vorzubereiten, kann er die Weichen stellen. Das bedeutet vor allem Folgendes:
Offensive Entlastungsstrategie des Geschäftsführers
Der Geschäftsführer kann sich für eine offensive Vorgehensweise entscheiden und allen Gesellschaftern Kenntnis von dem potenziellen Ersatzanspruch verschaffen, sei es durch Vorlagen oder Berichte in der Gesellschafterversammlung, sei es „privat“, also „unter vier Augen“. Es genügt, wenn die – nochmals: alle – Gesellschafter auf Veranlassung des Geschäftsführers durch einen Dritten, etwa den Anwalt der Gesellschaft, Kenntnis von dem Ersatzanspruch erlangen oder sogar rein zufällig, beispielsweise durch einen Pressebericht. Entscheidend ist, dass jeder Gesellschafter, auch ein letztlich überstimmter Minderheitsgesellschafter, den denkbaren Anspruch – und nicht nur die ihm zugrunde liegenden Tatsachen – bei Fassung des Entlastungsbeschlusses kennt. Und der Geschäftsführer muss natürlich sicherstellen, dass er seine Behauptung, jeder Gesellschafter sei rechtzeitig über den Ersatzanspruch im Bilde gewesen, auch beweisen kann.
Die offensive Strategie erfordert eine Selbstbezichtigung des Geschäftsführers, denn sie setzt ja voraus, dass der Geschäftsführer gegenüber jedem Gesellschafter den im Raum stehenden Ersatzanspruch benennt oder aber jedenfalls dafür sorgt, dass jeder Gesellschafter ihn kennt. Deshalb wird sie eher selten in Betracht kommen, etwa wenn der Geschäftsführer die Mehrheit der Gesellschafter sicher hinter sich weiß, so dass ihm kein Ungemach droht.
Defensive Entlastungsstrategie des Geschäftsführers
Alternativ kann der Geschäftsführer eine defensive Strategie wählen. Dazu muss er nicht den eventuellen Ersatzanspruch gegenüber jedem Gesellschafter konkret benennen. Vielmehr reicht es, wenn er der Gesellschafterversammlung durch seine Vorlagen und Berichte nur die Möglichkeit verschafft, den potenziell haftungsrelevanten Sachverhalt zur Kenntnis zu nehmen und eigene Schlüsse daraus zu ziehen.
In diesem Fall muss der Geschäftsführer sich also nicht selbst eines Fehlers, einer Pflichtverletzung oder gar einer Haftung bezichtigen. Vielmehr hat er das seinerseits Erforderliche getan, sobald er der Gesellschafterversammlung Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen verschafft hat (BGH Urt. v. 10.2.1977 – II ZR 79/75, BeckRS 1977, 31003329). Mit den aus diesen Tatsachen sich ergebenden rechtlichen Schlussfolgerungen darf er die Gesellschafter allein lassen.
Die Sachverhaltsdarstellung muss allerdings vollständig und ausreichend transparent sein. Der BGH fordert insoweit eine „hinreichende Offenheit“ des Geschäftsführers (BGH NJW 1995, 1353, 1357). Die Gesellschafter müssen von ihm in die Lage versetzt werden, entweder auf den ersten Blick oder aber jedenfalls nach sorgfältiger Prüfung seiner Vorlagen und Berichte „die Tragweite der Entlastung“ richtig einzuschätzen (BGH NJW 1995, 1353, 1357). Je weniger, oberflächlicher oder verschleiernder der Geschäftsführer die Gesellschafterversammlung informiert, desto größer ist folglich sein Risiko, trotz einer ihm erteilten Entlastung weiterhin zu haften.
Andererseits muss er den Gesellschaftern die haftungsrelevanten Tatsachen auch nicht auf die Nase binden. Es genügt, wenn er Anhaltspunkte von solcher Deutlichkeit mitteilt, dass ein sorgfältig prüfender Gesellschafter sich zu Nachfragen oder Nachforschungen veranlasst sehen würde. Bleiben die Gesellschafter trotzdem untätig, geben sie allein hierdurch zu erkennen, dass sie dem objektiv im Raum stehenden Verdacht keine der Enthaftung des Geschäftsführers durch Entlastung entgegenstehende Bedeutung zumessen, weshalb ihr Entlastungsbeschluss dann auch enthaftende Wirkung entfaltet.
Da es auf die Erkenntnismöglichkeit der Gesellschafterversammlung bei Fassung des Entlastungsbeschlusses ankommt, führt ein zu diesem Zeitpunkt vom Geschäftsführer noch nicht vollständig dargelegter haftungsbegründender Sachverhalt dazu, dass sich die Enthaftungswirkung der Entlastung nicht auf ihn erstreckt. Das gilt beispielsweise für Dokumente mit haftungsrelevantem Inhalt, die der Geschäftsführer vor der Beschlussfassung über die Entlastung nachzureichen verspricht, was der BGH im Zusammenhang mit der Entlastung eines Vereinsvorstands einmal wie folgt beurteilt hat: „Entlastung ist Verzicht auf Schadensersatzansprüche, soweit sie dem entlastenden Organ bekannt sind oder bei sorgfältiger Prüfung bekannt sein konnten. Ersatzansprüche, die weder aus den Rechenschaftsberichten des Vorstandes noch aus anderen den Mitgliedern zugänglich gemachten Informationsquellen ersichtlich sind, sondern erst bei sorgfältiger Prüfung einer schriftlichen, der Mitgliederversammlung bei Fassung des Entlastungsbeschlusses nicht vorliegenden Einnahmen-Ausgaben-Rechnung (Kassenbericht) erkennbar sind, werden damit von der Verzichtswirkung der Entlastung von vornherein nicht erfaßt“ (BGH NJW 1987, 2430, 2431).
Fehlt der Gesellschafterversammlung im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Entlastung auch nur eine für die Beurteilung der Haftung wesentliche Tatsachenkenntnis – auf die Kenntnis von Randgeschehen und bloßem Kolorit kommt es nicht an –, ist die Enthaftungswirkung der Entlastung also in Gefahr. Auch dies hat der BGH am Beispiel eines Vereinsvorstands entschieden: „Ansprüche, die aus den Rechenschaftsberichten des Vorstandes und den der Mitgliederversammlung bei der Rechnungslegung unterbreiteten Unterlagen nicht oder doch in wesentlichen Punkten nur so unvollständig erkennbar sind, daß die Vereinsmitglieder die Tragweite der ihnen abverlangten Entlastungsentscheidung bei Anlegung eines lebensnahen vernünftigen Maßstabes nicht zu überblicken vermögen, werden von der Verzichtswirkung nicht erfaßt. Dies gilt insbesondere für solche Ansprüche, die erst nach eingehendem Vergleich und rechtlicher Auswertung verschiedener Unterlagen ersichtlich sind, die der Mitgliederversammlung bei Fassung des Entlastungsbeschlusses nicht oder nicht vollständig vorliegen. Eine unbillige Benachteiligung des zu entlastenden Organs ist darin schon deshalb nicht zu erblicken, weil es bereits zum pflichtgemäßen Inhalt des jährlichen Rechenschaftsberichtes gehört, die Vereinsmitglieder über alles zu unterrichten, was nach Verkehrsanschauung und vernünftigem Ermessen zur sachgemäßen Beurteilung der Entlastungsfragen durch die Mitgliederversammlung erforderlich ist (…). Auch im Übrigen liegt es bei dem Vorstand – und entsprechendes gilt für andere um Entlastung nachsuchende Vereinsorgane –, durch hinreichende Offenheit gegenüber der Mitgliederversammlung die Tragweite der erbetenen Entlastung selbst zu bestimmen. Dagegen kann von den einzelnen Vereinsmitgliedern regelmäßig nicht erwartet werden, daß sie aus eigener Kenntnis der Zusammenhänge und aufgrund selbständiger Untersuchungen im Stande sind, das Ausmaß der ihnen mit der in der Mitgliederversammlung beantragten Entlastung abverlangten Verzichtserklärung zu überblicken“ (BGH NJW-RR 1988, 745, 748).
Prüfungsobliegenheit der Gesellschafter
Die Beantwortung der Frage, ob ein Ersatzanspruch bei Fassung eines Entlastungsbeschlusses „der Gesellschafterversammlung bei sorgfältiger Prüfung aller Vorlagen und Berichte erkennbar“ war, richtet sich „bei Anlegung eines lebensnahen vernünftigen Maßstabes“ (BGH NJW-RR 1988, 745, 748) nach dem Verständnishorizont der konkreten Gesellschafter und der von diesen zu erwartenden Prüfungssorgfalt (BGH NJW-RR 1988, 745, 748). Will sagen: Was für einen Gesellschafterkreis aus erfahrenen Kaufleuten ohne weiteres erkennbar ist, kann für einen anderen, weniger fachkundigen Kreis, beispielsweise aus Musikern oder anderen Künstlern, nicht erkennbar sein. Der BGH hat das am Beispiel der Mitglieder einer Genossenschaft wie folgt geschildert: ,,Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass aus den von den Generalversammlungen beschlossenen Entlastungen des Vorstandes für die Jahre 1995 und 1996 kein Verzicht auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen hergeleitet werden kann, weil die Ansprüche gegen den Beklagten aufgrund der oberflächlichen Unterrichtung der Genossenschaftsmitglieder nicht oder in wesentlichen Punkten nur unvollständig erkennbar waren. (…) Jedenfalls erstreckt [sich die Verzichtswirkung der Entlastung] nicht auf Ansprüche, welche die Genossenschaftsmitglieder aus den bei der Rechnungslegung unterbreiteten Unterlagen bei Anlegung eines lebensnahen Maßstabes nicht zu überblicken vermögen (…). Anders als von den in die Geschäftspolitik des Gesellschaftsunternehmens eingebundenen und mit Kontroll- und Weisungsrechten gegenüber der Geschäftsleitung ausgestatteten Gesellschaftern einer GmbH (§ 46 Nr. 6 GmbHG) kann von den Genossenschaftsmitgliedern bei lebensnaher Betrachtung regelmäßig nicht erwartet werden, aus den ihnen erteilten Informationen über die Geschäftslage eigenständige Schlussfolgerungen im Hinblick auf ein mögliches Fehlverhalten des Vorstands zu ziehen und damit die Tragweite eines mit der Entlastung verbundenen Anspruchsverzichts zu überblicken. Im vorliegenden Fall ergaben sich für einen durchschnittlichen Versammlungsteilnehmer weder aus den vor Fassung der Entlastungsbeschlüsse verlesenen Schlussbemerkungen der Prüfberichte des Genossenschaftsverbandes noch aus dem sonstigen Inhalt der Prüfberichte Hinweise auf mögliche Schadensersatzansprüche wegen der dort genannten Kreditrisiken“ (BGH NZG 2005, 562, 564).
Die Maßgeblichkeit des konkreten Gesellschafterkreises hat der BGH hier zwar durch einen Vergleich zwischen GmbH und eG herausgearbeitet; der Gedankengang lässt sich jedoch nahtlos auf GmbHs mit unterschiedlich kaufmännisch erfahrenen Gesellschafterkreisen übertragen. Jedenfalls von einer Gesellschafterversammlung, die sich für gewöhnlich in die Geschäftsführung nicht einmischt und dem Geschäftsführer keine Weisungen gibt, weil sie mangels eigener Fähigkeiten auf dessen Erfahrung vertraut, wird bei lebensnaher Betrachtung regelmäßig weniger Kompetenz zur eigenständigen Überprüfung der Vorlagen und Berichte des Geschäftsführers auf mögliches Fehlverhalten zu erwarten sein als von einer aktiven Gesellschafterversammlung, die von ihren Kontroll- und Weisungsrechten häufiger Gebrauch macht.
Selbst Nichtkaufleuten und eher passiven Gesellschafterversammlungen wird aber abverlangt, dass sie sich gedanklich mit den Vorlagen und Berichten des Geschäftsführers befassen, diese also nicht bloß unreflektiert entgegennehmen, sondern sie konkret unter dem Gesichtspunkt auf der Hand liegender Lückenhaftigkeit oder Ungereimtheiten prüfen. In einem Fall eigenmächtiger Gehaltsüberzahlung hat der BGH das so ausgedrückt: „Die Zuvielentnahmen des Kl. waren für die Gesellschafter der Bekl. bei sorgfältiger Prüfung der ihnen zur Verfügung stehenden Unterlagen unschwer erkennbar. Die Feststellungen des BerGer., es hätte nur einer einfachen Rechenoperation bedurft, um festzustellen, daß der Kl. mehr als das ihm vertraglich zustehende Gehalt entnommen hatte, lassen aus revisionsrechtlicher Sicht keinen Fehler erkennen“ (BGH NJW 1986, 2250, 2251).
Leichteres Nachrechnen ist also stets zu erwarten. Allerdings müssen die Gesellschafter nicht von sich aus Argwohn hegen, sondern dürfen dem Geschäftsführer vertrauen, solange dessen Vorlagen oder Berichte nicht offensichtlich unplausibel sind. Erst wenn Verdachtsmomenten, die einem sorgfältigen Gesellschafter Anlass zu Nachfragen geben würden, nicht nachgegangen wird, führt das mangelnde Aufklärungsinteresse der Gesellschafter dazu, dass ihr Entlastungsbeschluss enthaftende Wirkung hat (BGH NJW-RR 1988, 745, 748).
Im Innenhaftungsprozess ist es Sache des Geschäftsführers, die enthaftende Wirkung einer ihm erteilten Entlastung darzulegen und zu beweisen. Damit muss er auch die Erkennbarkeit eines seiner Meinung nach von einem Entlastungsbeschluss umfassten Ersatzanspruchs darlegen und beweisen, wofür es jedenfalls nicht ausreicht, allein darauf zu setzen, dass der haftungsbegründende Vorgang in den Büchern der Gesellschaft abgebildet gewesen sei. „Eine GmbH (…) ist nach einer Entlastung der Geschäftsführer mit Ersatzansprüchen auch aus Bereicherungsrecht ausgeschlossen, die der Gesellschafterversammlung bei sorgfältiger Prüfung der Vorlagen und Berichte erkennbar waren, oder von denen alle Gesellschafter privat Kenntnis hatten (…). Dass dem Alleingesellschafter die Zahlung von mehr als 72.000 DM Jahresgehalt aus Vorlagen und Berichten erkennbar oder privat bekannt war, hat das BerGer. nicht festgestellt. Die Erkennbarkeit von Gehaltserhöhungen, weil die Zahlungen die Lohnbuchhaltung durchlaufen haben und er die jeweils aktuelle Gehaltshöhe leicht hätte in Erfahrung bringen können, genügt nicht. Das BerGer. hat nicht festgestellt, welche Unterlagen dem Gesellschafter vorlagen. Dass die Zahlungen die Lohnbuchhaltung durchlaufen haben, besagt nichts dazu, dass sie aus den dem Alleingesellschafter vorgelegten Unterlagen erkennbar waren“ (BGH NZG 2014, 780 Rn. 21).
Grenzen der Entlastung
Selbst ein vom Geschäftsführer noch so gut vorbereiteter Entlastungsbeschluss hat gewisse Grenzen, was die enthaftende Wirkung angeht.
Zunächst ist es allein Sache der Gesellschafterversammlung, die zeitliche Reichweite der Entlastung zu bestimmen. In der Regel wird sie für das letzte Geschäftsjahr erteilt, der Zeitraum kann jedoch ohne weiteres verkürzt oder es können einzelne Geschäftsvorfälle von der Entlastung ausgenommen werden. Eine uneingeschränkte Entlastung, die anlässlich des Ausscheidens eines Geschäftsführers aus seinem Amt beschlossen wird, erstreckt sich aber über das letzte Geschäftsjahr hinaus auf die gesamte zurückliegende Geschäftsführertätigkeit (OLG Hamburg, Urteil vom 26.11.1999 – 11 U 182/98 = GmbHR 2000, 1263).
Außerdem gibt es unüberwindbare gesetzliche Grenzen der Entlastung. Die Enthaftungswirkung endet nämlich „dort, wo Ansprüche im Interesse der Gesellschaftsgläubiger unverzichtbar sind“ (BGH NJW 1986, 2250, 2251). Innenhaftungsansprüche gegen den Geschäftsführer, auf die die Gesellschafter aus Gründen des Gläubigerschutzes gesetzlich nicht verzichten können – wozu gemäß § 15 b Abs. 4 S. 4 InsO beispielsweise der Anspruch aus § 15 b Abs. 4 S. 1 InsO auf Erstattung von nach Insolvenzreife aus dem Gesellschaftsvermögen geleisteten Zahlungen gehört, die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind – unterliegen demzufolge auch nicht der Entlastung.
Und schließlich erstreckt sich die Enthaftungswirkung einer Entlastung nur auf vor dem Entlastungsbeschluss begangene Pflichtverletzungen. Sie befreit also nicht im Voraus von der Haftung für nachfolgende neue Pflichtverletzungen, selbst dann nicht, wenn diese mit einem von der Entlastung umfassten Vorgang und einem bereits entlasteten Schaden in Zusammenhang stehen. Das hat der BGH jedenfalls zur Verletzung der Schadenminderungspflicht durch einen im Hinblick auf die Schadenverursachung bereits entlasteten Geschäftsführer entschieden: „[Die Entlastung] bedeutet jedoch nicht, daß [der Geschäftsführer] für die Zukunft der aus § 43 GmbHG folgenden Pflicht enthoben gewesen wäre, die Interessen der Beklagten mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers zu wahren und deshalb wenigstens dafür zu sorgen, daß die schädlichen Folgen seines vorausgegangenen Zuwiderhandelns für die Beklagte so gering wie möglich blieben. Denn die Entlastung konnte sein pflichtwidriges Verhalten nicht in dem Sinne zu einem rechtmäßigen stempeln, daß auch alle daraus hervorgehenden künftigen Handlungen oder Unterlassungen, mit denen er die [Gesellschaft] weiterhin begünstigte, im Voraus vom Einverständnis der Gesellschafter gedeckt gewesen wären. Eine so weitgehende Bedeutung ist dem Entlastungsbeschluß ohne besondere, deutlich auf einen entsprechenden Willen aller Gesellschafter hinweisende Anhaltspunkte nicht beizumessen (…). Die Entlastung für das Geschäftsjahr 1968/1969 gab daher dem Geschäftsführer keinen Freibrief dafür, der EWE zu helfen, die unrechtmäßig zu ihren Gunsten geschaffene Lage auch im folgenden Geschäftsjahr auf Kosten der [Gesellschaft] auszunutzen“ (BGH Urt. v. 10.2.1977 – II ZR 79/75 = BeckRS 1977, 31003329).
Selbst eine nach einer Entlastung begangene gleichartige weitere Pflichtverletzung ist nicht im Voraus mitentlastet und der Geschäftsführer kann sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen: „Die Wirkung der Entlastung beschränkt sich jeweils auf das Geschäftsjahr, für das sie ausgesprochen wird. Die Annahme eines auch auf kommende Geschäftsjahre übergreifenden Vertrauensschutzes von Entlastungsbeschlüssen würde den qualitativen Unterschied zwischen Entlastung, d. h. negativ wirkendem Anspruchsverzicht für ein in der Vergangenheit liegendes Organverhalten, und positiver Gestaltung zukünftiger Sachverhalte in rechtlich unzulässiger Weise verwischen“ (BGH NJW-RR 1988, 745, 749).
Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses
Im Übrigen sollte sich jeder auf wirksame Entlastung bedachte Geschäftsführer bewusst sein, dass der Entlastungsbeschluss nachträglich von einem überstimmten Gesellschafter mittels Anfechtungsklage gegen die Gesellschaft angegriffen werden kann, wenn sich die Entlastung als rechtsmissbräuchlich und die Beschlussfassung der Gesellschaftermehrheit deshalb als treuwidrig erweist. Ob das der Fall ist, hängt naturgemäß von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von Dauer und Schwere der Pflichtverletzung und der (insbesondere existenzgefährdenden) Höhe des verursachten Schadens (BGH NZG 2020, 1343 Rn. 49; OLG Düsseldorf NZG 2001, 991, 994 f.; OLG Köln NZG 1999, 1228, 1229). Auch die Zuwendung ungerechtfertigter Sondervorteile an einen Gesellschafter lässt dessen Zustimmung zur Entlastung des pflichtwidrig handelnden Geschäftsführers treuwidrig erscheinen (BGH NZG 2020, 1343 Rn. 51; OLG München OLGR 1997, 287), wie ohnehin jedes kollusive Zusammenwirken eines Gesellschafters mit dem Geschäftsführer (BGH WM 1977, 361).
Überdies kann es treuwidrig sein, wenn die Gesellschaftermehrheit durch eilige Entlastung des Geschäftsführers versucht, eine Enthaftung zu bewirken, ohne dass das Ausmaß des der Gesellschaft zugefügten Schadens bereits hinreichend erkennbar ist: „Wegen der Verzichtswirkung ist eine Entlastungsentscheidung auch treuwidrig, wenn sie – wie hier – zu einem Zeitpunkt getroffen wird, zu dem die Gesellschafter zwar von der Pflichtverletzung erfahren haben, aber noch nicht in der Lage sind zu beurteilen, ob der Gesellschaft ein Schaden zugefügt wurde, und sie nur dazu dient, den Geschäftsführer der Verantwortung für sein Verhalten zu entziehen und eine weitere Untersuchung zu verhindern. Der Kl. hatte erst unmittelbar vor der Gesellschafterversammlung von der Geschäftsführungsmaßnahme erfahren, zu der der Geschäftsführer (…) pflichtwidrig seine Zustimmung nicht eingeholt hatte und mit der eine erhebliche Verschuldung der Gesellschaft verbunden war“ (BGH NZG 2009, 1307 Rn. 20; im Ergebnis ebenso BGH NZG 2020, 1343 Rn. 50).
Die mäandernde Enthaftungswirkung der Entlastung
Bleibt nur noch die sibyllinische Überschrift zu erklären: Ein Mäander ist eine Flussschlinge. Wenn ein Fluss sich kurvenreich durch eine Landschaft windet, spricht man von „Mäandern“. In der Türkei fließt ein Fluss, der wegen seiner vielen Windungen den Namen „Großer Mäander“ trägt, ein „Kleiner Mäander“ fließt parallel. Die Überschrift soll natürlich primär das Leserinteresse wecken, hat aber auch einen Sinn: Sie veranschaulicht, dass der Weg zu einer Enthaftung durch Entlastung oft in vielfachen Windungen verläuft, weshalb meist schwer vorherzusagen ist, ob ein Entlastungsbeschluss letztlich tatsächlich die enthaftende Wirkung hat, die sich der Geschäftsführer verspricht. Dessen sollte sich bewusst sein, wer nicht unrealistische Hoffnung oder gar Erwartung hegen will.