Wichtige Instrumente der Schadenregulierung

D&O-Schadenfälle sind keine leichte Angelegenheit. Einer der Gründe: Versicherer, versicherte Personen und die beteiligten Rechtsanwälte nähern sich den Haftungsvorwürfen häufig aus völlig anderen Richtungen, was die Regulierung oftmals erschwert. Aufklärungsobliegenheiten dienen dazu, dass alle beteiligten Parteien auf dem gleichen Kenntnisstand sind und fördern so eine möglichst reibungslose Bearbeitung des Schadenfalles.


Macht eine Gesellschaft, also die Versicherungsnehmerin der D&O-Versicherung, Schadensersatzansprüche gegen ihren gegenwärtigen oder ehemaligen Geschäftsleiter, das ist die versicherte Person, geltend (Innenhaftung), betrifft dies die versicherte Person gleich in doppelter Hinsicht.

Versicherer tappen im Dunkeln

Zunächst muss sie sich rein sachlich und rechtlich mit den gegen sie erhobenen Vorwürfen beschäftigen, also etwa umfangreiche Abläufe rekonstruieren oder wegen der gesetzlich geregelten Beweislastumkehr entlastende Unterlagen zusammenstellen.

Doch darüber hinaus beinhaltet eine solche Inanspruchnahme naturgemäß auch einen höchstpersönlichen Schuldvorwurf, der als umso schwerer wiegend wahrgenommen wird, weil er nicht selten von Personen, etwa dem Aufsichtsrat der AG oder dem selbst eingearbeiteten Nachfolger im Amt des Geschäftsführers, erhoben wird, mit denen die betroffene versicherte Person noch vor nicht allzu langer Zeit zusammengearbeitet hat. Betreffen die Vorwürfe dann auch noch – wie so häufig – einen zeitlich gestreckten Sachverhalt, beispielsweise aus dem Ruder gelaufene Kosten eines größeren Projektes oder die unterbliebene kontinuierliche Weiterentwicklung eines Compliance-Systems, greifen die beiden oben geschilderten Aspekte ineinander, weil Ab- und Rücksprachen während dieser langen Zeiträume häufig „auf dem kurzen Dienstweg“ stattfinden und nicht für „jede Kleinigkeit“, auch wenn sie sich später zu einem Streitfall entwickelt, Gesellschafterversammlungen einberufen oder Entscheidungen bis ins Detail dokumentiert werden.

So vielfältig die verschiedenen Konstellationen auch sein können, mit denen sich eine betroffene versicherte Person auseinandersetzen muss, gemein ist allen Fällen, dass der D&O-Versicherer von den dahinterstehenden Vorgängen überhaupt nichts weiß! Weder kennt er das „Innenleben“ der versicherungsnehmenden Gesellschaften, noch ist er über die Arbeitsleistung versicherter Organe im Bilde. Erst recht weiß er nichts darüber, wie die beiden Elemente im konkreten Fall zusammenwirken und dazu geführt haben, dass ein verdienter Geschäftsleiter nun in erheblicher Höhe auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird. Mit anderen Worten: der Versicherer sieht sich mit einem häufig erheblichen Deckungsanspruch konfrontiert, über dessen Hintergründe er nicht mehr weiß als das, was in der Schadenmeldung steht.

Regulierungsentscheidungen bedürfen der Sachverhaltsaufklärung

Schadenmeldungen allerdings, die alle in haftungs- und deckungsrechtlicher Hinsicht erforderlichen Angaben enthalten, kommen praktisch nicht vor. Dies ist auch verständlich, da niemand von einem in Anspruch genommenen Geschäftsleiter verlangen kann, sich neben der umfangreichen haftungsrechtlichen Aufarbeitung des geltend gemachten Anspruches auch noch die Perspektive des Versicherers als potenziellem Schuldner eines Freistellungsanspruchs anzueignen.

Es liegt also an dem Versicherer selbst, sich ein Bild von der Sach- und Rechtslage zu machen. Damit er dies tun kann, bürdet der Gesetzgeber den versicherten Personen und den jeweiligen Gesellschaften als Versicherungsnehmerinnen weitreichende Obliegenheiten auf, Auskünfte zu erteilen. Diese Obliegenheiten finden sich auch in den gängigen Bedingungswerken für die D&O-Versicherung wieder und sind damit auch Vertragsinhalt. Typischerweise macht der Versicherer davon nach Eingang der Schadenmeldung Gebrauch, indem er von der betroffenen versicherten Person weitergehende Informationen anfordert. Aufgrund der oben dargestellten typischerweise vorherrschenden Unkenntnis des Versicherers gesteht ihm die Rechtsprechung dabei einen Beurteilungsspielraum zu, wonach der Versicherer grundsätzlich diejenigen Auskünfte erfragen darf, die er aus seiner Sicht für notwendig hält. Da hierbei auch auf den ersten Blick eher abseitige Aspekte oder auch solche von Interesse sein können, die zu einem Ausschluss der Leistungspflicht führen könnten, entsteht oftmals der Eindruck, dass der Versicherer entweder in einer für die betroffene Person kritischen Situation „auf Zeit spielen“ will oder aber nur nach Möglichkeiten suchen würde, den Versicherungsschutz zu verweigern.

Das gilt umso mehr, wenn die Betroffenen erwarten, dass ihr Versicherer die nötigen Kosten übernimmt, um sich anwaltlich gegen eine Inanspruchnahme zu verteidigen. Wer in einer solchen Situation mit einem Auskunftsersuchen konfrontiert wird, fühlt sich häufig missverstanden oder gar „verraten“, weil er sich im Recht sieht und deshalb nicht versteht, weshalb nun auch noch die eigene Versicherung unangenehme Fragen stellt. Doch die D&O-Versicherung ist keine reine Rechtsschutz- sondern Haftpflichtversicherung. Der Versicherer hat also im Rahmen der Prüfung der haftungs- und deckungsrechtlichen Situation zu entscheiden, ob er den (unbegründeten) Schadensersatzanspruch abwehrt oder die versicherte Person von einem (begründeten) Anspruch freistellt (vgl. § 100 VVG).

Daraus folgt, dass sich der Versicherer bereits frühzeitig ein möglichst umfassendes Bild von der haftungs- und der deckungsrechtlichen Situation machen muss. Anders kann er die ihm obliegende Regulierungsentscheidung gar nicht treffen.

Kein Anspruch auf bestimmte Art der Regulierung

Auch wenn diese Erwartung vielen Deckungsanfragen zugrunde liegt, besteht nämlich kein Anspruch auf eine von der versicherten Person zu wählende konkrete Art der Gewährung von Versicherungsschutz. Kommt der Versicherer beispielsweise nach der Prüfung der Sach- und Rechtslage zu dem Schluss, die geltend gemachte Forderung sei begründet und versichert, muss er dem Begehr der versicherten Person, die Kosten der anwaltlichen Verteidigung zu tragen, nicht nachkommen. Im Interesse der Versichertengemeinschaft muss der Versicherer dem sprichwörtlich schlechten Geld kein gutes hinterherwerfen, weil er die Anwaltskosten in der sicheren Erwartung zahlen würde, am Ende auch noch freistellen zu müssen. Zwar zeigt die Praxis, dass von vornherein eindeutig begründete Inanspruchnahmen eine Ausnahme sind – hierfür spielen im Recht der Organhaftung sowohl auf der Ebene der Pflichtverletzung als auch bezüglich der Frage des kausalen Schadens zu viele rechtliche Wertungen eine Rolle. Es kommt jedoch vor, dass eine Verteidigung von Anfang an aussichtslos ist, so dass es keinen Anspruch auf eine „automatische“ Abwehrkostendeckung gibt.

Vergleichbares gilt, wenn beispielsweise eine Mehrzahl von versicherten Personen gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen wird, etwa der gesamte Vorstand. In derartigen Konstellationen lassen sich die verschiedenen Personen, was nachvollziehbar ist, regelmäßig von einem eigenen Anwalt des jeweiligen Vertrauens vertreten. Dass diese jedoch wiederum aus dem Mandatsvertrag verpflichtet sind, ohne Rücksicht auf die Interessen der anderen Beteiligten die Verteidigung Ihres Mandanten in den Vordergrund zu stellen, kann die Haftungsabwehr insgesamt gefährden.

Das Problem: Im Rahmen einer umfassenden haftungsrechtlichen Beratung hat der Anwalt auch die Frage des Innenregresses zu klären, also zu prüfen, wer im Falle einer gesamtschuldnerischen Haftung gegenüber der geschädigten Gesellschaft der „Hauptschuldige“ ist und inwieweit dieser auf Freistellung in Anspruch genommen werden könnte. Werden also beispielsweise drei Geschäftsleiter gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen, wird dreimal geprüft, wer final haften soll. Da es im wirtschaftlichen Interesse des Mandanten ist, Anhaltspunkte dafür zu finden, dass die Haftung auf einen anderen verlagert wird, werden die Ergebnisse der drei Prüfungen selten deckungsgleich sein. So kommt es schon im Rahmen der gesamtschuldnerischen Verteidigung gegenüber der Gesellschaft zu Uneinigkeit über die Schuldfrage.

Eine nicht geschlossene Verteidigungsreihe hilft aber vor allem der Gegenseite. Eine Erfolgsgarantie für die individuellen Verteidigungsstrategien gibt es auch nicht, da schon denklogisch von drei zum Teil gegeneinander gerichteten Verteidigungsstrategien nur dann alle gleichermaßen „erfolgreich“ sein können, wenn am Ende doch jeder zu gleichen Teilen haftet. Das Wort „erfolgreich“ steht bewusst in Anführungszeichen, denn in dem Falle hätte man sich das „Blame Game“ auch gleich sparen können. Um dieses zu vermeiden, kann der Versicherer nach einem gemeinsamen Sockel forschen, auf dem eine einheitliche und möglichst lückenlose Verteidigung stattfinden kann. Dies ist im Interesse aller Beteiligter, denn auch mit dem D&O-Versicherer im Rücken kann eine erfolglose Verteidigung gegen die gesamtschuldnerische Haftung für den „Hauptschuldigen“ richtig gefährlich werden. Haftet das gesamte Gremium im Außenverhältnis, konzentrieren sich aber im Innenverhältnis die Schuldzuweisungen auf eine einzelne Person, so stellt sich zwangsläufig die Frage, ob diese wissentlich an dem Gesamtvorstand vorbei gehandelt hat. Wird dies festgestellt, entfällt der Versicherungsschutz, die betroffene Person haftet mit ihrem Privatvermögen und muss dem Versicherer gegebenenfalls auch noch die Kosten der fehlgeschlagenen Verteidigung zurückzahlen. Auch die im Innenverhältnis „unschuldigeren“ übrigen Vorstände wären hiervon betroffen, falls Ihnen aus anderweitigen Gründen kein Deckungsanspruch zustehen sollte, denn sie haften weiterhin gegenüber der Gesellschaft, die sich aussuchen kann, von wem sie den Schadensersatz einfordert, während ihr Regressanspruch bei fehlendem Versicherungsschutz erheblich an Wert verliert.

Oftmals wird zudem unterschätzt, dass auf Seiten des Versicherers hochspezialisierte, in Haftungsfällen und deren Beilegung sehr erfahrene Mitarbeiter mit dem Fall befasst sind. Gerade in komplexen Haftungsfällen hat der Versicherer daher die Möglichkeit, gleichsam als Vermittler, eine einvernehmliche Streitbeilegung zu fördern. Da er sich, wie beschrieben, dem einzelnen Fall ohne Vorbefassung – und damit auch ohne Vorurteil – nähert, kann er nämlich – was den unmittelbar betroffenen Parteien aus der Streithistorie heraus gegebenenfalls nicht mehr möglich ist – als unbefangener Dritter die jeweiligen Interessenlagen und Argumente erfassen, neutral bewerten und damit dazu beitragen, Streitigkeiten zu versachlichen. Auch dies setzt aber voraus, dass sich der Versicherer über sämtliche, auf den ersten Blick auch nur entfernt relevant erscheinenden Umstände informieren kann. Ohne ein vollständiges Bild, das auch die Identifizierung von hinter dem eigentlichen Streitgegenstand liegenden Motiven erlaubt, kann er diese Rolle als Vermittler zwischen den Parteien nicht optimal ausüben.

Risikoausschlüsse prüfen

Selbstverständlich prüft der Versicherer über ein Auskunftsersuchen auch, ob Deckungsausschlüsse eingreifen. Wie bereits gesagt, weiß der Versicherer in der Regel überhaupt nichts über die ihm angezeigte Inanspruchnahme, also auch nichts darüber, ob dem Deckungsanspruch mögliche Einwendungen entgegenstehen. Dementsprechend muss die versicherte Person auch Auskünfte erteilen, die einem Deckungsanspruch entgegenstehen. Weigert sie sich aber, dies zu tun und besteht vielmehr darauf, Deckung zu bekommen, verhält sie sich wie ein Verkäufer, der sich weigert, die Kaufsache zu übergeben, damit der Käufer sie begutachten und etwaige Mängel aufspüren kann, dabei aber auf unverzüglicher Kaufpreiszahlung besteht.

Jedenfalls bei Gegenständen von einem gewissen Wert würde der Käufer in aller Regel den Kaufpreis gerade nicht blind zahlen, sondern auf einer eigenhändigen Prüfung der Sache bestehen. Gleichfalls kann der Versicherer die Deckungsentscheidung auch erst dann treffen, wenn seine Auskunftsfragen, mögen sie auch unangenehm sein, beantwortet wurden.

Auch wenn die letztgenannte Aussage augenscheinlich das eingangs erwähnte Misstrauen gegenüber einem Auskunftsersuchen des Versicherers zu begründen vermag, täuscht dieser Eindruck. Dem Versicherer komm es darauf an, sich ein möglichst zutreffendes Bild über einen ihm völlig unbekannten Sachverhalt zu verschaffen. Um seine Pflichten zu erfüllen, muss er in alle Richtungen denken, entsprechende Informationen einholen und diese bewerten, um überhaupt entscheiden zu können, ob und inwiefern er regulieren kann und darf, aber auch, inwiefern er eine anderweitige Streitbeilegung fördern kann. Auch insoweit ist es nämlich von Relevanz, ob bereits frühzeitig das Risiko eines Deckungsausschlusses identifiziert werden kann. Da dies Einfluss auf die Werthaltigkeit eines Haftungsanspruches hat, führt eine Transparenz auch in dieser Hinsicht nicht selten zu einer frühzeitigeren Bereitschaft aller Parteien, den Fall im Wege eines Vergleichs zu beenden.

Da von einer Rechtsschutzzusage regelmäßig nicht auf eine Pflicht des Versicherers auch zur Freistellung der versicherten Person im Falle eines negativen Ausganges des Haftpflichtprozesses geschlossen werden kann, trägt diese nämlich anderenfalls das Risiko, einen gegebenenfalls mehrere Instanzen durchlaufenden Haftungsprozess in der Ungewissheit führen, ob sich im Nachhinein das Risiko eines Deckungsausschlusses nicht doch durch entsprechende gerichtliche Feststellungen realisiert. Dann würde sie rechtskräftig und völlig ohne Versicherungsschutz haften. Die Gegenseite sähe sich während des Prozesses dem spiegelbildlichen Risiko ausgesetzt, einen erheblichen Aufwand für einen oftmals langwierigen Prozess zu betreiben, ohne die Gewissheit zu haben, am Ende gegen einen solventen Schuldner zu obsiegen. In derartigen Szenarien stellt eine vergleichsweise Streitbeilegung unter der Moderation und/oder der wirtschaftlichen Beteiligung des Versicherers häufig die bessere Alternative dar.

Um dies alles zu leisten, ist der Versicherer aber auf die Kooperation der versicherten Person angewiesen, die wiederum als Anspruchsteller des Deckungsanspruches wahrheitsgemäße Auskünfte erteilen muss. Die Auskunftsansprüche des Versicherers sind also kein Instrument der Deckungsablehnung, sondern versetzen den Versicherer erst in die Lage, den angezeigten Schadenfall zu verstehen und frühzeitig die Weichen der Schadenregulierung so zu stellen, dass idealerweise den gemeinsamen Interessen aller Betroffenen am besten gedient ist.

Claims-Made-Prinzip (Anspruchserhebungsprinzip) Obliegenheiten

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