Der unmöglicherweise sich selbst überwachende Geschäftsleiter

Man könnte der Meinung sein, dass es nicht möglich ist, sich selbst zu überwachen und dass man für Unmögliches, wenn es sich dann tatsächlich als solches erweist, auch nicht verantwortlich gemacht werden kann. Das ist aber keineswegs so. Der österreichische OGH – das Pendant zum BGH – hat dies für Geschäftsleiter jüngst (noch einmal) veranschaulicht (Beschluss vom 25.11.2020 – 6 Ob 209/20h = NZG 2021, 647).


Es geht um die in der Praxis häufige Konstellation, dass ein Mitglied des Vorstands oder der Geschäftsführung einer Muttergesellschaft (oft derjenige, dem zugleich die kaufmännische Verwaltung von Beteiligungen im In- oder Ausland, weltweit oder auch nur in einer bestimmten ausländischen Region übertragen ist oder – bei Spartenorganisation – derjenige, der eine Sparte im Konzern führt) zugleich Vorstand oder Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft ist.

Der Doppelmandatar

Im Fall eines solchen Doppelmandats kann es sein, dass der Doppelmandatar – sprich: der doppelt Beauftragte – in seiner Eigenschaft als Geschäftsleiter der Tochtergesellschaft einen Fehler begeht, der sich als Pflichtverletzung erweist und einen Schaden der Tochtergesellschaft zur Folge hat. Dass er dann gegenüber dieser Gesellschaft verantwortlich ist, liegt auf der Hand. Wie nun aber, wenn er dennoch nicht auf Schadenersatz haftet, beispielsweise weil es sich um eine ausländische Tochtergesellschaft handelt und nach dem maßgeblichen ausländischen Recht keine Innenhaftung besteht oder weil er als Geschäftsleiter der Tochtergesellschaft wirksam entlastet wurde? Kommt dann dennoch eine Haftung in Betracht, nämlich als Geschäftsleiter der Muttergesellschaft?

Die Frage stellen heißt sie bejahen. Und zwar völlig unproblematisch. Die Rechtsprechung – die österreichische wie die deutsche – betrachtet unterschiedliche Mandate als selbstständig, mit der Folge, dass die Nichthaftung in einem Mandat keineswegs von der Haftung für die Falschausübung des anderen Mandats befreit, auch nicht, wenn ein identischer Sachverhalt beurteilt wird und vor allem nicht allein deshalb, weil der Mandatsträger derselbe ist. Wer zwei (oder mehr) Mandate übernimmt, vervielfacht also auch sein Haftungsrisiko und zwar selbst (oder gerade) dann, wenn die Aufgabe als Geschäftsleiter der Muttergesellschaft (nur oder auch) darin besteht, das eigene Tun und Unterlassen bei der Führung der Tochtergesellschaft zu überwachen.

Mit den Worten des OGH: Wer es als Geschäftsleiter einer Muttergesellschaft zulässt, dass er sich als Geschäftsleiter der Tochtergesellschaft pflichtwidrig verhält, verletzt „damit seine ihn gegenüber der [Muttergesellschaft] treffende Pflicht zur Konzernleitung“. Der Geschäftsleiter einer Muttergesellschaft sei verpflichtet, „alles zu unternehmen“, um erkennbare Pflichtverletzungen der Geschäftsleiter von Tochtergesellschaften zu verhindern. Im vom OGH konkret beurteilten Fall hätte der beklagte Vorstand der Muttergesellschaft „also auf den Vorstand der Tochtergesellschaft, somit auf sich selbst, entsprechend Einfluss nehmen müssen“, um pflichtwidriges Verhalten in dieser Eigenschaft zu verhindern (aaO. = NZG 2021, 647 Rn. 52).

Die deutsche Rechtsprechung urteilt genauso. So hat etwa das OLG München in einem Beschluss vom 17.12.2018 (23 U 2780/18) zu einem Doppelmandat bekundet, der Betroffene sei zwar primär als Geschäftsführer einer Tochter-GmbH verpflichtet gewesen, einen dieser drohenden Schaden abzuwenden. „Zudem traf ihn aber als Vorstand der [Muttergesellschaft] die Pflicht, die Beteiligung (…) an ihrer 100%igen Tochter, der (…) GmbH, zu verwalten. Insoweit trafen ihn daher auch Pflichten, ggf. den Geschäftsführer der (…) GmbH – also im Ergebnis sich selbst – zu überwachen und ggf. als Vertreter der Alleingesellschafterin Weisungen zu erteilen. Ein Verstoß hiergegen stellt eine Pflichtverletzung auch gegenüber der [Muttergesellschaft] dar.“

Ganz ähnlich meinte das OLG Köln in einem Urteil vom 23.05.2019 (18 U 85/17), „schon allgemein“ obliege es einem „Geschäftsführer der Muttergesellschaft, seine Organposition bei dem Tochterunternehmen mit der gehörigen Sorgfalt auszuüben und damit eine mittelbare Schädigung der Muttergesellschaft zu vermeiden, da eine Pflichtverletzung auch darin liegen kann, dass das beherrschte Unternehmen in einer Weise geführt wird, die (auch) den Interessen der Muttergesellschaft zuwiderläuft“. Und der BGH hat schon 1986 einen für die kaufmännische Verwaltung von Beteiligungen im In- und Ausland zuständigen Geschäftsführer einer Muttergesellschaft für haftbar gehalten, der einer ausländischen Tochter-gesellschaft in seiner Eigenschaft als deren Vorstand Schaden zugefügt hatte (Urteil vom 10.11.1986 – II ZR 140/85 = NJW 1987, 1077).

Der Doppelschaden

Bleibt die Frage, ob der Doppelmandatar für einen von ihm verursachten Schaden eigentlich auch doppelt haften kann, nämlich wenn er sowohl von der Muttergesellschaft als auch von der Tochtergesellschaft – jeweils im Wege der Innenhaftung – in Anspruch genommen wird. Denkbar ist etwa, dass der Betroffene nach einer Insolvenz der Tochtergesellschaft von deren Insolvenzverwalter verklagt wird, weil er eine pflichtwidrige Schadenverursachung gefunden zu haben glaubt und dass die Muttergesellschaft auf derselben Tatsachengrundlage ebenfalls Schadenersatzklage erhebt, weil sie meint, die Pflichtverletzung habe die Insolvenz und damit den Wertverlust ihrer Beteiligung herbeigeführt.

Die Rechtsprechung spricht hier von der „Frage nach der Ersatzfähigkeit sogenannter Doppelschäden, also des Ausgleichs von Schäden des Gesellschaftsvermögens, die zugleich die [Anteile] des Gesellschafters entwerten“ (BGH aaO. = NJW 1987, 1077, 1079) und beantwortet sie dahin, dass der „mittelbar geschädigte Gesellschafter nur einen Anspruch auf Ersatzleistung an die Gesellschaft hat“ (BGH aaO. = NJW 1987, 1077, 1079; ebenso OGH aaO. = NZG 2021, 647 Rn. 21 f. und OLG Düsseldorf Urteil vom 19.07.2018 – 6 U 122/16 = BeckRS 2018, 26389, Rn. 51). Klagt eine Muttergesellschaft gegen einen ihrer Geschäftsleiter auf Schadenersatz, weil dieser durch pflichtwidrige Schlechtüberwachung einer Tochtergesellschaft einen dort eingetretenen Schaden (mit)verursacht habe, kann sie also nicht mit Erfolg auf (Schadenersatz)Leistung an sich, sondern nur auf Leistung an die Tochtergesellschaft klagen.

Anders ist es lediglich, wenn die „Mutter“ den der „Tochter“ entstandenen Schaden ausgeglichen und dadurch den Doppelschaden – bisweilen wird auch von „Reflexschaden“ gesprochen, weil sich im Wertverlust der Anteile lediglich der Schaden der Tochtergesellschaft „reflektiert“ (OGH aaO. = NZG 2021, 647 Rn. 21 f.; OLG Düsseldorf aaO. = BeckRS 2018, 26389, Rn. 51) – zu einem ausschließlich eigenen Schaden gemacht hat. „Verzichtet der Gesellschafter in einem solchen Fall gegenüber der Gesellschaft auf Aufwendungsersatz oder auf Rückzahlung, (…) so ist (…) der Gesellschafter berechtigt, vom Organ den Ausgleich des nunmehr nur noch bei ihm bestehenden Schadens zu verlangen. Voraussetzung eines derartigen unmittelbaren Ausgleichsanspruchs ist (…) aber, daß die [Muttergesellschaft] darlegt und notfalls beweist, daß ihre Zahlung [an die Tochtergesellschaft] den Schaden beseitigen und nicht einer von diesem unabhängigen Kapitalzufuhr dienen sollte mit der Folge, daß der Ersatzanspruch der [Tochtergesellschaft] gegen den [Geschäftsleiter] bestehen geblieben wäre“ (BGH aaO. = NJW 1987, 1077, 1079; ebenso OLG Düsseldorf aaO. = BeckRS 2018, 26389, Rn. 51). Ergebnis also: Der Doppelmandatar muss einen Doppelschaden nur einmal ersetzen.

Praktische Konsequenzen für Betroffene

Jeder sollte gewarnt sein. Wer als Geschäftsleiter einer Konzernmutter in die Geschäftsleitung einer Konzerntochter eintritt, erweitert sein Haftungsrisiko schon deshalb beträchtlich, weil er sich nicht mehr auf haftungsbefreiende Delegation (auf die Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft) berufen kann, weder darauf, von einem verlustträchtigen Vorgang bei der „Tochter“ nichts gewusst zu haben, noch darauf, dass aus der Vogelperspektive der „Mutter“ nichts erkennbar war. Und wer als Geschäftsleiter einer erfolgreichen Tochtergesellschaft zusätzlich in den Konzernvorstand berufen wird, darf das zwar als Auszeichnung für seine bisherige Leistung verstehen; wegen der mit dem Doppelmandat verbundenen Haftungsrisiken handelt es sich stets aber auch um ein Danaergeschenk.

Das gilt erst recht, wenn die Haftungsregeln für die Innenhaftung in der Tochtergesellschaft andere sind als diejenigen, die in der Muttergesellschaft gelten, wie es etwa der Fall ist, wenn die Gesellschaften unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen unterliegen oder einfach nur verschiedene Rechtsformen haben. Schon dies kann die Geschäftsleiterhaftung gravierend beeinflussen, wie sich an der Entlastung zeigt, die einen GmbH-Geschäftsführer von seiner Innenhaftung befreien kann, einen AG-Vorstand jedoch keineswegs. Wer ein Doppelmandat antreten will oder wem ein solches angetragen wird, sollte sich also stets anwaltlich und durch einen Versicherungsmakler beraten lassen. Möglicherweise sind zusätzlicher Einfluss und Ansehen das zusätzliche Risiko nicht wert. Oder es gelingt, Anstellungsvertrag und Versicherungsschutz zu optimieren.

Merke: Man kann sich nicht selbst überwachen. Man kann sich aber in eine Lage begeben, in der man dafür haftet, nicht in der Lage zu sein, sich selbst zu überwachen.

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