Der latente und der manifeste Deckungsanspruch des Versicherten in der D&O-Versicherung

Vor kurzem hat der Bundesgerichtshof über den „Regress des Rechtsschutzversicherers gegen den Rechtsanwalt wegen unzureichender Beratung des Mandanten über mangelnde Erfolgsaussichten“ geurteilt (BGH Urt. v. 16.9.2021 – IX ZR 165/19, r+s 2021, 635). Was das konkret bedeutet.


Hauptsächlich geht es in der Entscheidung darum, dass ein Rechtsschutzversicherer, der die Klage eines Versicherten finanziert, von dessen Anwalt Ersatz der Rechtsverfolgungskosten verlangen kann, wenn die Rechtsverfolgung (im Fall einer Rechtsmitteleinlegung: die weitere Rechtsverfolgung) sich als von vornherein objektiv aussichtslos erweist und dass die Deckungszusage des Versicherers hieran nichts ändert.

In der D&O-Versicherung gilt Gleiches, auch wenn es dort meist nicht um eine Klage des, sondern gegen den Versicherten geht. Dann haftet der Anwalt dem Versicherer, wenn die Rechtsverteidigung (im Fall einer Rechtsmitteleinlegung: die weitere Rechtsverteidigung) von vornherein objektiv aussichtslos ist, ohne dass die Deckungszusage des D&O-Versicherers den Anwalt enthaftet.

Kleingedrucktes im BGH-Urteil

Während es in der zitierten Entscheidung also hauptsächlich um Fragen der Anwaltshaftung geht, finden sich im „Kleingedruckten“ sehr interessante Ausführungen versicherungsrechtlichen Inhalts, die gerade auch für die D&O-Versicherung Bedeutung haben. In Randnummer 34 des Urteils heißt es nämlich: „Der versicherungsvertragliche Anspruch auf Deckungsschutz entsteht mit Eintritt des bedingungsgemäßen Versicherungsfalls. Ab diesem Zeitpunkt befindet sich der Anspruch als eigenständiger Wert im Vermögen des rechtsschutzversicherten Mandanten. Die spätere Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers verstärkt lediglich den bereits bestehenden Deckungsanspruch im Sinne eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses (…). Es obliegt allein dem rechtsschutzversicherten Mandanten, über den Einsatz des Deckungsanspruchs für die beabsichtigte Rechtsverfolgung zu entscheiden. Es gilt nichts anderes, als für das sonstige Vermögen des Mandanten, das ebenfalls allein seiner Disposition unterliegt. (…)“

Interessant hieran ist die Feststellung, dass sich der versicherungsvertragliche Deckungsanspruch (erst) ab Eintritt des Versicherungsfalls „als eigenständiger Wert im Vermögen“ des Versicherten befindet.

Große Wirkung in der D&O-Versicherung

Denkt man die zur Rechtsschutzversicherung getroffene Aussage des BGH für die D&O-Versicherung weiter, ergibt sich, dass ein Versicherter vor Eintritt eines Versicherungsfalls keinen Deckungsanspruch in seinem Vermögen vorfindet, selbst dann nicht, wenn der Versicherte bereits eine Pflichtverletzung begangen hat, die an sich vom Versicherungsschutz umfasst wird und die jederzeit in einen Versicherungsfall münden kann. Ein solcher Versicherter hat lediglich einen „latenten“ Deckungsanspruch, der sich erst mit Versicherungsfalleintritt in seinem Vermögen manifestiert. Ab diesem Zeitpunkt, also ab Versicherungsfalleintritt, gehört der „manifeste“ Deckungsanspruch hingegen allein dem Versicherten – der BGH sagt: unterliegt er „allein seiner Disposition“ – so dass Versicherungsnehmerin und Versicherer, obwohl sie die alleinigen Versicherungsvertragsparteien sind, nicht mehr durch Vertragsänderung über den Anspruch verfügen können.

Rechtslage vor Versicherungsfalleintritt

Das ist in der Praxis bspw. relevant, weil es recht häufig dazu kommt, dass Versicherer und Versicherungsnehmerin einen Schadenfall durch Haftungs- und Deckungsvergleich erledigen und in dem Vergleich ein sog. „Verbrauch“ (auch als „Erschöpfung“ oder „Ausschöpfung“ bezeichnet) der Versicherungssumme vereinbart wird. Damit ist gemeint, dass der Versicherer aus dem Versicherungsvertrag nur noch die Vergleichssumme zu zahlen hat, aber keine weitere Leistung mehr erbringen wird, wenn es nach Vergleichsschluss zu anderen Versicherungsfällen im versicherten Zeitraum kommen sollte. Eine typische Vergleichsformulierung lautet: „Mit Zahlung des Vergleichsbetrags gilt die Versicherungssumme der Versicherungsperiode 2020 als vollständig verbraucht.“

Eine etwas „abgespeckte“ Regelung findet sich dem Vergleich, den die Volkswagen AG am 9.6.2021 mit ihren D&O-Versicherern geschlossen hat, um Streitigkeiten im Zusammenhang mit der sog. „Dieselthematik“ zu beenden (abrufbar unter Volkswagen HV 2021 (volkswagenag.com)).

In Ziff. 3.3 des Vergleichs heißt es: „(…) Die Leistungen der Versicherer der Versicherungsperiode 2021 (…) schöpfen (…) die Versicherungssummen der Grunddeckung 2021 und des 2. Exzedenten 2021 sowie der nachfolgenden Exzedenten des Versicherungsprogramms 2021 für sämtliche Sachverhalte und Ansprüche auf Grund oder im Zusammenhang mit dem Relevanten Sachverhalt vollständig aus.“ Das ist eine „abgespeckte“ – man kann auch sagen: eingeschränkte – Verbrauchs-Vereinbarung, weil sie keinen kompletten Versicherungssummenverbrauch vorsieht, sondern lediglich bestimmt, dass die Versicherungssumme der Versicherungsperiode 2021 verbraucht sein soll, soweit etwaige Deckungsansprüche aus dem „relevanten Sachverhalt“ (dieser ist näher definiert als „neben der Dieselthematik auch etwaige sonstige Manipulationen, Verfälschungen oder Falschangaben von/zu Abgas-, Verbrauchs- oder Leistungswerten von Motoren aus dem VOLKSWAGEN-Konzern“) – betroffen sind, was zur Folge hat, dass für Deckungsansprüche aus anderen Sachverhalten weiterhin Versicherungssumme und damit Versicherungsschutz zur Verfügung steht.

Eine uneingeschränkte oder eingeschränkte Verbrauchs-Vereinbarung bewirkt, dass für später eintretende Versicherungsfälle (bei eingeschränkter Verbrauchs-Vereinbarung: aus demselben Sachverhalt) keine Versicherungssumme mehr zur Verfügung und damit kein Versicherungsschutz mehr besteht, selbst dann nicht, wenn die (behauptete) Pflichtverletzung, auf der ein späterer Versicherungsfall beruht, vor Vergleichsschluss begangen wurde, also zu einem Zeitpunkt, in dem die Versicherungssumme noch ausgereicht hätte, um Versicherungsschutz zu leisten.

Diese Praxis kann man nun als höchstrichterlich legitimiert betrachten, denn es gilt: Erst ab Eintritt eines Versicherungsfalls befindet sich der Deckungsanspruch „als eigenständiger Wert im Vermögen“ eines Versicherten, so dass Versicherer und Versicherungsnehmerin ihn nicht mehr vertraglich, bspw. durch Vergleich, beeinträchtigen können; vor Versicherungsfalleintritt können Versicherer und Versicherungsnehmerin hingegen über den latenten Deckungsanspruch des Versicherten verfügen, weil er zu diesem Zeitpunkt eben noch nicht im Vermögen des Versicherten manifestiert ist.

Das Recht der Versicherungsvertragsparteien, vor Eintritt eines Versicherungsfalls über den latenten Deckungsanspruch eines Versicherten zu verfügen, selbst wenn dieser bereits eine Pflichtverletzung begangen haben sollte und ein künftiger Versicherungsfalleintritt absehbar ist, wirkt sich auch auf Änderungen des Versicherungsvertrags aus, die außerhalb vergleichsweiser Vereinbarungen vorgenommen werden, namentlich im Rahmen von Renewal-Verhandlungen.

Versicherungsnehmerin und Versicherer sind also ohne weiteres in der Lage, den Inhalt des Versicherungsvertrags so zu ändern, dass sich der Versicherungsschutz für bereits begangene Pflichtverletzungen verschlechtert, bspw. durch Verringerung der Versicherungssumme, Einführung von Selbstbehalten, Vereinbarung neuer Risikoausschlüsse, Begründung neuer Obliegenheiten usw. Das kann sogar so weit gehen, bestimmte Versicherte oder Gruppen von Versicherten – bspw. leitende Angestellte – vom Versicherungsschutz auszunehmen, etwa um auf diese Weise eine unerwünschte Prämienerhöhung oder Versicherungssummenreduzierung zu vermeiden.

Damit liegt auf der Hand, dass ein Versicherter nicht mit Gewissheit darauf vertrauen kann, auch künftig und stets in gleichem Umfang versichert zu sein, weshalb es zur Sicherung des Privatvermögens auf jeden Fall zielführend ist, über den Abschluss einer persönlichen D&O-Versicherung nachzudenken.

Rechtslage nach Versicherungsfalleintritt

Mit Eintritt eines Versicherungsfalls manifestiert sich, wie gesagt, der bis dahin nur latente Deckungsanspruch im Vermögen des Versicherten. Dies bedeutet vor allem, dass Versicherungsnehmerin und Versicherer den Versicherungsvertrag zwar weiterhin zum Nachteil einzelner oder aller Versicherter ändern können, jegliche Änderung aber nicht einen bereits manifesten Deckungsanspruch beeinflussen kann.

Das wird bspw. praxisrelevant, wenn Versicherungsnehmerin und Versicherer einen Haftungs- und Deckungsvergleich schließen, darin einen (uneingeschränkten oder eingeschränkten) Versicherungs-summenverbrauch vereinbaren und nicht wissen, dass zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses in irgendeiner in den Versicherungsvertrag einbezogenen Konzerngesellschaft der Versicherungsnehmerin bereits ein anderer Versicherungsfall als derjenige, der durch den Vergleich erledigt wird, eingetreten ist. In einer solchen Konstellation kann dem betroffenen Versicherten nicht entgegengehalten werden, dass für die Regulierung „seines“ Versicherungsfalls wegen des vereinbarten Versicherungssummenverbrauchs kein Versicherungsschutz mehr bestehe. Für den sich vergleichenden Versicherer bedeutet dies, dass er, wenn er sein Risiko auf die Vergleichssumme begrenzen will, zusätzlich zum Versicherungssummenverbrauch mit der Versicherungsnehmerin eine Freistellungspflicht für bis zum Vergleichsschluss eventuell bereits eingetretene weitere Versicherungsfälle vereinbaren muss. Hierdurch ändert sich zwar nichts an der versicherungs-vertraglichen Haftung des Versicherers gegenüber dem deckungsbeanspruchenden Versicherten, die Freistellungsvereinbarung verschafft ihm aber einen Ausgleichsanspruch gegen die Versicherungs-nehmerin.

In der Praxis kommt es auch vor, dass ein Versicherungsfall mehrere Versicherte betrifft, alle Beteiligten einen Haftungs- und Deckungsvergleich anstreben und den Versicherten, bspw. als Zeichen persönlicher Wiedergutmachungsbereitschaft, ein Eigenbeitrag abverlangt wird, dem sich einer der Versicherten widersetzt. So bspw. im Fall VW, wie sich der Präambel des zwischen der Volkswagen AG und ihren D&O-Versicherern geschlossenen Deckungsvergleichs in Bezug auf zwei Versicherte entnehmen lässt: „Die Gesellschaften beabsichtigen mit den In Anspruch Genommenen Personen – mit Ausnahme von Herrn (…) und Herrn (…) – außergerichtliche Vereinbarungen über die (…) Haftungsansprüche zu schließen („Haftungsvergleiche“), die wirksam werden, wenn die Hauptversammlungen der jeweiligen Gesellschaften den Haftungsvergleichen zustimmen, keine Minderheit, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Grundkapitals der jeweiligen Gesellschaft erreichen, gegen die Beschlussfassung Widerspruch zur Niederschrift erhebt (§ 93 Abs. 4 S. 3 AktG) und der vorliegende Deckungsvergleich wirksam wird.“

In einem solchen Fall, in dem sich ein Versicherter als Inhaber eines manifesten Deckungsanspruchs einer vergleichsweisen Gesamterledigung unter Erbringung eines Eigenbeitrags verweigert, können die anderen Beteiligten zwar einen Haftungs- und Deckungsvergleich schließen, dadurch aber den manifesten Deckungsanspruch des nicht vergleichsbereiten Versicherten nicht beeinträchtigen. Wollen die anderen Beteiligten dann auch nicht einfach auf einen Vergleichsbeitrag des opponierenden Versicherten verzichten, muss der Haftungs- und Deckungsvergleich so gefasst werden, dass sowohl die Haftung als auch die Deckung des Opponenten „offen“ bleiben.

Letzteres steht zwar in Widerspruch zu einem von den Vergleichsparteien gewollten (uneingeschränkten oder eingeschränkten) Versicherungssummenverbrauch. Eine diesen Widerspruch auflösende vergleichsweise Regelung kann aber gelingen, indem das Recht der Versicherungsnehmerin, den opponierenden Versicherten weiterhin haftungsrechtlich zu verfolgen, auf das über dessen manifesten Deckungsanspruch hinausgehende Vermögen beschränkt wird. Praktisch bedeutet dies, dass die Versicherungsnehmerin den Versicherten nur insoweit haftungsrechtlich weiterverfolgen darf, als ihm ungeachtet des vereinbarten Versicherungssummenverbrauchs ohnehin kein Versicherungsschutz zusteht, etwa weil sein manifester Deckungsanspruch durch einen subjektiven Risikoausschluss belastet ist oder weil der geltend gemachte Schaden über die Versicherungssumme hinausgeht.

Ein Beispiel für eine dahingehende Vereinbarung, insb. eine Begrenzung des Anspruchverfolgungsrechts auf den Teil des Schadens, der über die Versicherungssumme hinausgeht, findet sich in Ziff. 3.10 des VW-Deckungsvergleichs: „Hinsichtlich der In Anspruch Genommenen Personen gelten (…) die Vereinbarungen in den mit diesen geschlossenen Haftungsvergleichen. Wird von diesen kein Haftungsvergleich geschlossen (…), können die Gesellschaften (…) weiterhin gegen die In Anspruch Genommene Person vorgehen, allerdings nur für den Teil des Schadens, der verbleiben würde, wenn die Versicherer auch die Differenz zwischen den Regulierungsbeträgen nach Ziff. 1 und den maximalen Versicherungssummen für die Versicherungsperiode 2015 und die Versicherungsperiode 2021 für Versicherungsleistungen zur Freistellung der jeweils In Anspruch Genommenen Person aufgewandt hätten. Für den übrigen Teil verpflichten sich die Gesellschaften dazu, Ansprüche gegen die In Anspruch Genommenen Personen auf Grund oder in Zusammenhang mit dem Relevanten Sachverhalt dauerhaft nicht bzw. nicht mehr länger gerichtlich oder außergerichtlich geltend zu machen. Hierbei handelt es sich um einen echten Vertrag zugunsten Dritter zugunsten der In Anspruch Genommenen Personen, der unabhängig davon gilt, ob es sich um bekannte oder unbekannte, bedingte oder unbedingte Ansprüche oder Rechte aus eigenem oder übergegangenem Recht handelt. Die beiden vorstehenden Sätze gelten jedoch nicht, soweit die In Anspruch genommene Person aus anderen Gründen als der Erschöpfung der Versicherungssumme nicht versichert wäre. (…)“

Diese Begrenzung des Anspruchverfolgungsrechts der Versicherungsnehmerin auf den Teil des Schadens, der die Versicherungssumme übersteigt, also auf den von vornherein nicht versicherten Teil des Schadens, beeinträchtigt den manifesten Deckungsanspruch des betroffenen Versicherten nicht, weil die Geltendmachung oder Weiterverfolgung eines nicht versicherten Haftungsanspruchs (natürlich) nicht vom Schutzbereich des manifesten Deckungsanspruchs umfasst ist, so dass dem Versicherten weder ein Rechtsschutz- noch ein Freistellungsanspruch gegen den Versicherer zusteht.

Rechtslage in der Insolvenz der Versicherungsnehmerin

Die im Urteil vom 16.9.2021 zum Ausdruck kommende Ansicht des BGH, dass sich der bis dahin latente Deckungsanspruch des Versicherten (erst) mit Eintritt des Versicherungsfalls „als eigenständiger Wert im Vermögen“ des Versicherten manifestiert, liegt auf einer Linie mit einem Urteil aus dem Jahr 2020 (BGH Urt. v. 4.3.2020 – IV ZR 110/19, NZI 2020, 445). Bereits damals hat das Gericht die Zugehörigkeit des manifesten Deckungsanspruchs zum Vermögen des Versicherten betont und ihn vor Verfügungen der Versicherungsnehmerin in Schutz genommen.

In dem damaligen Rechtsstreit ging es – vereinfacht geschildert – um die Frage, ob ein Versicherter einer D&O-Versicherung, dem nach den AVB das ausschließliche Recht zusteht, Ansprüche auf Versicherungsschutz gegenüber dem Versicherer geltend zu machen, seinen manifesten Deckungsanspruch auch dann noch durchsetzen kann, wenn über das Vermögen der sich in Prämienverzug befindenden Versicherungsnehmerin das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist und der Insolvenzverwalter Nichterfüllung des Versicherungsvertrags gewählt hat. Während das Berufungsgericht die Frage verneint hat, meinte der BGH, dass es auf eine Verfügung des Insolvenzverwalters wegen der versicherungsvertraglich vereinbarten ausschließlichen Verfügungs-befugnis der Versicherten über manifeste Deckungsansprüche gar nicht ankomme:

„[11] Im Falle einer Insolvenz [der Versicherungsnehmerin] geht das Recht, über [versicherungsvertragliche Deckungsansprüche] zu verfügen, gem. § 80 I InsO grundsätzlich auf den Insolvenzverwalter [der Versicherungsnehmerin] über (…). Allerdings steht der Versicherungsanspruch materiell-rechtlich dem Versicherten und nicht [der Versicherungsnehmerin] zu; er gehört nicht zur Insolvenzmasse [der Versicherungsnehmerin], sondern zu der des Versicherten (…). Der Versicherte hat daher ein Recht auf Aussonderung bzw. Ersatzaussonderung gem. §§ 47, 48 InsO (…). Dieses Recht ändert aber nichts an der Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters (…). Läge ein derartiger Fall einer Versicherung für fremde Rechnung entsprechend dem gesetzlichen Leitbild der §§ 44, 45 VVG vor, stünde die Verfügungsbefugnis [dem Insolvenzverwalter der Versicherungsnehmerin] zu und es käme, wenn die übrigen Voraussetzungen der Vorschrift vorlägen, darauf an, ob [der Insolvenzverwalter] von [seinem] Wahlrecht gem. § 103 InsO Gebrauch gemacht und Erfüllung gewählt hat. [12] b) Das ist hier indessen nicht entscheidungserheblich. Das BerGer. hat rechtsfehlerhaft verkannt, dass hier keine derartige Verfügungsbefugnis der Insolvenzschuldnerin als Versicherungsnehmerin und damit der Streithelferin als deren Insolvenzverwalterin gegeben ist. In den Versicherungsbedingungen ist nämlich ausdrücklich vereinbart, dass Ansprüche auf den Versicherungsschutz nur durch die versicherten Personen geltend gemacht werden können (Nr. 9.1 ULLA). Eine derartige Regelung ist dahingehend auszulegen, dass durch sie die §§ 44 II, 45 I VVG abbedungen werden sollen (…). Nach dem Bedingungswortlaut, von dem der durchschnittliche Versicherungsnehmer sowie der Versicherte einer D&O-Versicherung, auf deren Verständnis es bei dieser Versicherung für fremde Rechnung insoweit maßgeblich ankommt (…), bei Auslegung der Klausel ausgehen werden, können den Anspruch auf Versicherungsschutz nur die versicherten Personen geltend machen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer sowie der Versicherte erkennen, dass es sich trotz der teilweisen Ähnlichkeit der Formulierung nicht nur um eine deklaratorische Wiederholung des § 44 I 1 VVG handelt. Im Gegensatz zu § 44 I 1 VVG, der die materielle Inhaberschaft des Anspruchs betrifft, hat Nr. 9.1 ULLA dessen Geltendmachung zum Gegenstand. Indem diese nur den versicherten Personen möglich sein soll, werden die Regelungen in §§ 44 II, 45 I VVG insoweit modifiziert (…). [13] Dies hat zur Folge, dass es für die Verfügungsbefugnis allein auf die Person des Kl., der zugleich der materiell Berechtigte gem. § 44 I 1 VVG ist, ankommt. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung wird hierdurch auch nicht das Wahlrecht des Insolvenzverwalters zulasten der Insolvenzgläubiger beschnitten, weil der Versicherungsanspruch materiellrechtlich ohnehin dem Versicherten und nicht [der Versicherungsnehmerin] zusteht. Da sich der Kl. nicht in Insolvenz befindet, ist die vom BerGer. in den Mittelpunkt seiner Entscheidung gestellte Frage, ob die Streithelferin als Insolvenzverwalterin der Versicherungsnehmerin Erfüllung gem. § 103 I InsO gewählt hat oder nicht, von vornherein nicht streitentscheidend.“ (BGH aaO., Rn 11 ff.).

An alldem ist richtig, dass die Erfüllungs- oder Nichterfüllungswahl des Insolvenzverwalters der Versicherungsnehmerin eine Verfügung über den manifesten Deckungsanspruch des Versicherten darstellt und dass eine solche Verfügung bei einer – in der D&O-Versicherung üblichen – versicherungsvertraglich vereinbarten ausschließlichen Verfügungsbefugnis der Versicherten über ihre Deckungsansprüche wirkungslos bleiben muss. Die Wirkungslosigkeit einer Verfügung des Insolvenz-verwalters durch Erfüllungs- oder Nichterfüllungswahl hat allerdings zugleich zur Folge, dass sie nichts an der durch die Insolvenzeröffnung – bei der es sich zweifellos nicht um eine Verfügung der Versicherungsnehmerin oder ihres Verwalters handelt – eingetretenen Undurchsetzbarkeit des manifesten Deckungsanspruchs ändern kann, weshalb es hierbei verbleibt und der Versicherer schon deshalb für die Dauer des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Versicherten leistungsfrei ist. Das hat der BGH übersehen.

Im Übrigen muss die Wirkungslosigkeit einer Verfügung des Insolvenzverwalters durch Ausübung des Wahlrechts gem. § 103 InsO auch für die Erfüllungswahl gem. § 103 Abs. 1 InsO gelten, so dass, denkt man die richterliche Argumentation zu Ende, der Versicherte seinen manifesten Deckungsanspruch während des Insolvenzverfahrens selbst dann nicht gegen den Versicherer durchsetzen kann, wenn der Insolvenzverwalter Erfüllung des Versicherungsvertrags verlangt.

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