In Deutschland steigen die Unternehmensinsolvenzen seit einigen Jahren wieder deutlich an – ein Trend, der sich laut Prognosen auch 2025 fortsetzen wird. Für Geschäftsführende bedeutet das: erhöhte persönliche Haftungsrisiken. In genau diesen kritischen Situationen gewinnt die D&O-Versicherung an Bedeutung. Doch wie verhält es sich mit dem Versicherungsschutz, wenn das Unternehmen bereits in eine wirtschaftliche Schieflage geraten ist? Und wie bewerten D&O-Versicherer solche Risiken?
Dieser Beitrag beleuchtet aktuelle Entwicklungen bei Unternehmensinsolvenzen, rechtliche Fallstricke für Geschäftsführerinnen und -führer und die Frage, wie unter schwierigen wirtschaftlichen Vorzeichen dennoch Versicherungsschutz möglich sein kann.
Unternehmensinsolvenzen in Deutschland: Aktuelle Zahlen und Trends
Die aktuellen Entwicklungen bei Unternehmensinsolvenzen in Deutschland zeigen einen deutlichen Trend nach oben. Für das Jahr 2025 gehen die Prognosen weiter von steigenden Zahlen bei den Unternehmensinsolvenzen aus. Im Jahr 2024 gab es einen Anstieg von etwa 22 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen stieg im Jahr 2024 auf 21.812.Laut der Insolvenzstatistik des Statistischen Bundesamtes haben im Jahr 2023 in Deutschland 17.814 Unternehmen die Insolvenz angemeldet – eine Steigerung um 22 Prozent gegenüber dem Jahr 2022. Aus der Statistik geht hervor, dass seit dem Jahr 2021 die Unternehmensinsolvenzen wieder zunehmen. Nach wie vor entfällt der Großteil der beantragten Insolvenzverfahren auf kleine bis mittelgroße Unternehmen. In der Regel handelt es sich dabei um Unternehmen aus den Branchen Gastronomie, Baugewerbe oder auch Einzelhandel. Nach der Analyse der Creditreform bringen die Unternehmensinsolvenzen auch einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden für die Gläubiger mit sich. Für das Jahr 2024 rechnet man mit einem wirtschaftlichen Schaden von etwa EUR 56 Mrd.
Versicherbarkeit in der D&O-Versicherung: Spielräume trotz Krise
D&O-Versicherung und Unternehmenskrise – ein Widerspruch? Nicht zwingend. Zwar stellt die Absicherung von Führungskräften in wirtschaftlich angeschlagenen Unternehmen eine Herausforderung dar, doch bedeutet das nicht automatisch den Ausschluss vom Versicherungsschutz. Im Gegenteil: Gerade in kritischen Phasen kann eine D&O-Versicherung unverzichtbar sein, um Risiken für Entscheider abzufedern. Voraussetzung ist eine sorgfältige Risikoprüfung und ein durchdachter Umgang mit Haftungsrisiken. Für viele Unternehmenslenker besteht die Gefahr, dass sie die Krise zu spät erkennen und so den richtigen Zeitpunkt für eine Neuausrichtung verpassen. Es ist aber nicht zu unterschätzen, dass die Absicht des Gesetzgebers auch darin besteht, marode Unternehmen möglichst frühzeitig vom Markt zu nehmen. Insoweit ergibt sich für Geschäftsführer eine Insolvenzantragspflicht, sobald das Stadium der Insolvenzreife erreicht ist und die Krise des Unternehmens nicht mehr mittels einer Sanierung überwunden werden kann. Verletzen die Geschäftsführer ihre Insolvenzantragspflicht, so haften sie für den dadurch verursachten Schaden. Zudem können auf die Geschäftsführer auch berufsrechtliche Konsequenzen zukommen, im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung wegen vorsätzlich begangener Bankrottdelikte oder gar einer vorsätzlichen Insolvenzverschleppung.
Die Geschäftsführer eines Unternehmens können aufgrund der vorgenannten Insolvenzverschleppung das in § 15b InsO geregelte Zahlungsverbot treffen. Gemäß dieser Vorschrift können die antragspflichtigen Geschäftsführer im Falle einer Insolvenzverschleppung persönlich auf Erstattung von Zahlungen in Anspruch genommen werden, die sie nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vornehmen und die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. Durch die Verletzung der Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 S. 1 InsO können zudem sowohl bei den Altgläubigern als auch bei den Neugläubigern Schäden entstehen. Dies ist der Fall, wenn in der Zeit, in der der Antrag bereits hätte gestellt werden müssen, weitere Geschäfte für das Unternehmen getätigt werden, die zu einer Verminderung des verwertbaren Vermögens führen. Bei den Altgläubigern besteht der Schaden darin, dass sie eine geringere Quote auf ihre Forderung erhalten als bei einer rechtzeitigen Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Bei den Neugläubigern besteht der Schaden hingegen darin, dass sie sich überhaupt auf ein Geschäft mit dem Unternehmen eingelassen haben. Bei rechtzeitiger Antragstellung wäre es zu einer Geschäftsbeziehung mit dem Neugläubiger gar nicht erst gekommen. Die vorgenannten Überlegungen und Risiken können dazu führen, dass D&O-Versicherer die Versicherbarkeit eines insolvenzgefährdeten Unternehmens generell ablehnen oder sie nur mit erheblichen Einschränkungen und hohen Prämien anbieten.
Tipps für den Abschluss einer D&O-Versicherung bei erhöhtem Insolvenzrisiko
Eine sorgfältige Bewertung der unternehmensspezifischen Risiken kann helfen, den richtigen Versicherungsschutz zu finden. Dazu ist ein aussagekräftiger Businessplan des Unternehmens erforderlich. Aus Sicht des Versicherers ist es unerlässlich, sich mit der Branche, dem Geschäftsmodell und den Herausforderungen des Unternehmens auseinanderzusetzen. Insbesondere wird der D&O-Versicherer eine Einschätzung zum Insolvenzrisiko des Unternehmens treffen müssen. Denn mit der höheren Wahrscheinlichkeit eines Insolvenzverfahrens bei insolvenzgefährdeten Unternehmen gehen auch höhere Haftungsrisiken aus einer möglichen Insolvenzverschleppung einher. Im Rahmen dieser Risikoprüfung wird es erforderlich sein, die aktuellen Geschäftsberichte (soweit bereits vorhanden), Bilanzen sowie die aktuelle Gewinn- und Verlustrechnung einzusehen.
Ferner könnte zur Überprüfung einer möglichen Insolvenzgefahr die Liquiditätsbilanz, in der die fälligen Verbindlichkeiten den kurzfristig verfügbaren Zahlungsmitteln gegenübergestellt werden, herangezogen werden. Diese kann durch eine Finanzplanrechnung sowie durch einen aktuellen Finanz- und Liquiditätsstatus ergänzt werden. Insoweit ist auch eine Prognosebeurteilung mit einem Blick in die nähere Zukunft anzustellen, ob das jeweilige Unternehmen in der Lage sein wird, die in absehbarer Zeit fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen.
Aus den vorstehenden Erläuterungen lässt sich als Konsequenz für das Underwriting eines D&O-Versicherers ableiten, dass im Falle einer unzureichenden Informationsgrundlage über das Unternehmen selbst oder dessen zukünftige Zahlungsfähigkeit dennoch eine Versicherbarkeit hergestellt werden kann, wenn der Versicherungsschutz mit gewissen Einschränkungen angeboten wird. Hierzu kann zum Beispiel eine geringe Versicherungssumme oder auch ein Insolvenzausschluss als besondere Vereinbarung herangezogen werden, um zumindest eine erste Grundlage für eine Vertragsbeziehung aus der Perspektive des D&O-Versicherers zu schaffen. In einem solchen Fall kann der Insolvenzausschluss dem D&O-Versicherer helfen, die Hürde einer gewissen Finanzierungsunsicherheit des Unternehmens zu überwinden und eine Vertragsbeziehung mit dem Unternehmen einzugehen. Aus Sicht des Unternehmens kann der Abschluss einer D&O-Versicherung mit Einschränkungen wie dem Insolvenzausschluss auch dann als vertretbar angesehen werden, wenn auf dem D&O-Versicherungsmarkt keine bessere Lösung zu finden ist. Zudem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die D&O-Versicherung zum sogenannten „Long Tail Business“ gehört und dementsprechend bei Vertragsabschluss eine gewisse Langfristigkeit der Geschäftsbeziehung eingeplant werden sollte. Unter Berücksichtigung der Vertragskontinuität und der jährlichen Erneuerungsverhandlungen im D&O-Versicherungsgeschäft kann bei zukünftig belastbaren Liquiditäts- und Finanzkennzahlen sowie einer verbesserten Finanzkraft des Unternehmens eine Verbesserung des D&O-Versicherungsschutzes erreicht werden – beispielsweise indem im Einzelfall eine Erhöhung der Versicherungssumme erreicht wird oder Bedingungseinschränkungen wie ein Insolvenzausschluss wegverhandelt werden können. Insofern ist im Underwriting des D&O-Versicherers eine gewisse Flexibilität erforderlich, die es dem D&O-Versicherer im Bestandsgeschäft ermöglicht, mit dem Unternehmen zu wachsen. Diesem Wachstum wird dann idealerweise mit verbesserten Konditionen und Versicherungsbedingungen begegnet.
Patronatserklärungen im Underwriting: Sicherheit mit Fallstricken
Verfügt ein Unternehmen jedoch über eine ausreichende Finanzierung oder starke Ankerinvestoren, so kann aus der Perspektive des D&O-Versicherers bereits bei erstmaligem Vertragsabschluss grundsätzlich ein vollumfänglicher Versicherungsschutz ohne Einschränkungen gewährt werden. Jedenfalls sollte dieser Blickwinkel nicht außer Acht gelassen und im Underwriting seine Berücksichtigung finden. Ein weiteres Augenmerk, um zum Beispiel die Aufnahme eines Insolvenzausschlusses zu vermeiden, kann auf die Patronatserklärung gelegt werden. Bei der Patronatserklärung handelt es sich in der Regel um eine Erklärung einer Muttergesellschaft oder eines Investors zugunsten der operativen Tochtergesellschaft bzw. Unternehmung. Sie kann als eine Kreditsicherungsmaßnahme dienen, die sicherstellen soll, dass die Tochtergesellschaft ihren Zahlungsverpflichtungen aus den eingegangenen Verbindlichkeiten nachkommen kann. Dabei verpflichtet sich die Muttergesellschaft bzw. der Investor, für die Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaft gegenüber den Gläubigern einzustehen.
Bei der Einschätzung und Prüfung, ob das Unternehmen insolvenzgefährdet ist, ist jedoch darauf Acht zu geben, dass Patronatserklärung nicht gleich Patronatserklärung ist. Zu unterscheiden ist die weiche Patronatserklärung von der harten Patronatserklärung. Bei der weichen Patronatserklärung handelt es sich um eine rechtlich unverbindliche Erklärung. Es kann sich dabei um lediglich allgemeine Informationen über die Zahlungsfähigkeit der Tochtergesellschaft handeln, die keine Verbindlichkeit des Patrons begründen. Bei der harten Patronatserklärung handelt es sich hingegen um eine rechtliche Verpflichtung des Patrons, für die Zahlungspflichten der Tochtergesellschaft entweder im Innenverhältnis oder gar im Außenverhältnis gegenüber Gläubigern einzustehen. Im Rahmen einer harten Patronatserklärung kann daher auch ein Schadensersatzanspruch gegen den Patron entstehen, wenn dieser seinen Verpflichtungen nicht nachkommt und die Tochtergesellschaft nicht mit den entsprechenden Zahlungsmitteln ausstattet, damit diese ihre Verbindlichkeiten bedienen kann. Dies kann spätestens dann der Fall sein, wenn die Tochtergesellschaft zahlungsunfähig wird und Insolvenz anmelden muss.
Sollte sich der D&O-Versicherer auf eine Patronatserklärung verlassen, so ergibt sich im Underwriting regelmäßig die Problematik zu erkennen, ob es sich dabei wirklich um eine harte Patronatserklärung handelt, ob die Patronatserklärung befristet ist oder gar summenmäßig begrenzt wird und ob der Patron selbst eine solvente Gesellschaft darstellt. Mangels einer gesetzlichen Regelung der Patronatserklärung unterliegt diese weitgehend der Vertragsfreiheit und macht diese der Vertragsauslegung zugänglich. In der Risikoprüfung kann dementsprechend die Aussagekraft einer Patronatserklärung entwertet werden. Als Hilfestellung kann der Blick in die Bilanz des Patrons dienen. Denn dort wird in der Regel die harte Patronatserklärung als Eventualverbindlichkeit bilanziert und kann demnach als Indiz herangezogen werden, vgl. auch die Regelung aus § 251 HGB.
In der Praxis kann dies zu Schwierigkeiten führen, da die Patronatserklärung je nach Formulierung und den Umständen des Einzelfalls als unverbindliche Absichtserklärung (weiche Patronatserklärung) oder als rechtsverbindliche Verpflichtung (harte Patronatserklärung) ausgelegt werden kann. Eine unklare und missverständliche Formulierung oder auch eine nicht gelebte Praxis kann zu Streitigkeiten führen und nicht nur existenzielle Folgen für die betroffene Tochtergesellschaft haben, sondern auch Schadensfälle beim D&O-Versicherer verursachen, wenn dieser unter der Annahme einer harten Patronatserklärung auf die Aufnahme eines Insolvenzausschlusses verzichtet. So ist der BGH in einem Urteil vom 13.07.2021 (II ZR 84/20) zur Air-Berlin-Insolvenz davon ausgegangen, dass im konkreten Fall lediglich eine weiche Patronatserklärung vorlag, die eine rechnerische Überschuldung nicht ausräumen konnte. In einer weiteren Entscheidung des BGH vom 20.09.2010 (II ZR 296/08) lässt sich herleiten, dass eine vereinbarte Kündigungsmöglichkeit dazu führen kann, dass die Patronatserklärung jedenfalls mit Wirkung für die Zukunft nicht mehr als hart zu bewerten ist.
Fazit: D&O-Schutz als strategisches Element in Krisenzeiten
Managerinnen und Manager von Unternehmen tragen eine enorme Verantwortung, besonders in wirtschaftlich angespannten Phasen. Gerade dann steigt das Risiko persönlicher Haftung, etwa bei Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit Insolvenzantragspflichten. Schon einfache Fahrlässigkeit kann genügen, um sie mit ihrem gesamten Privatvermögen in Anspruch zu nehmen. Die D&O-Versicherung bietet in solchen Situationen ein wichtiges Sicherheitsnetz. Sie schützt nicht nur das Privatvermögen der Entscheidungstragenden, sondern auch deren berufliche und persönliche Existenz und sollte deshalb ein fester Bestandteil jedes unternehmerischen Risikomanagements sein.
Auch das gesamtwirtschaftliche Umfeld hat einen spürbaren Einfluss auf das Insolvenzgeschehen: In Rezessionen steigt die Zahl der Firmenpleiten oft deutlich an, weil der Zugang zu Finanzmitteln eingeschränkt ist und viele Unternehmen nicht mehr aus eigener Kraft zahlungsfähig bleiben. In solchen Fällen kann eine Sanierungsfusion eine mögliche Rettungsoption darstellen – insbesondere, wenn sich durch den Zusammenschluss mit einem etablierten Unternehmen Synergieeffekte erzielen lassen. Nicht zuletzt kann auch der D&O-Versicherer selbst zum langfristigen Erfolg eines Unternehmens beitragen: Indem er den Führungskräften die notwendige Sicherheit für mutige, verantwortungsvolle Entscheidungen bietet – gerade in herausfordernden Zeiten. So wird die D&O-Versicherung zu einem strategischen Partner für nachhaltige Unternehmensführung.